Nähprojekte Empire / Regency

Inzwischen reise ich jährlich zum Jane Austen Festival nach Bath, England, und nehme auch unterjährig gerne an Regency-Bällen und Events teil. Dafür schneidere ich meine Gewänder selbst. Nähen habe ich mir als junge Teenagerin selbst beigebracht und dafür manch altes Bettuch der Großeltern großzügig als Material bekommen. Inzwischen habe ich Gewänder aus vielen Epochen genäht und sowohl Damen- als auch Herrenkleidung kreiert. Regency-Kleidung ist aufgrund der normalerweise wenig komplexen Konstruktion besonders geeignet für Menschen, die neu zum Nähen gekommen sind oder die bisher vor allem Alltagskleidung genäht haben.

 

Regency-/Empirekleider sind bestens für Anfänger:innen im Nähen geeignet. Für die Rockbahnen benötigt man lediglich zwei lange Nähte und einen Saum. Für das Oberteil und die Ärmel ist es etwas aufwändiger und dennoch absolut ohne große Vorkenntnisse machbar. Auch in Regency-Oberteilen und Ärmeln stecken wenige Nähte und keine besonders kniffligen Schneidereitechniken. Mit einem guten Schnittmuster in der eigenen Größe und einem vorher erstellten Test-Oberteil aus Extrastoff (beispielsweise aus einem alten Kissenbezug) kann man sich einen auf den eigenen Körper angepassten Schnitt für das Oberteil und die Ärmel kreieren und dann beherzt in den eigentlichen Kleiderstoff schneiden.

 

Für Schmuck empfehle ich am besten echte Antiquitäten (wie ich sie in meinem Etsy-Shop preiswert anbiete ;)), Familienerbstücke oder historische Reproduktionen. Historische Kleider für ein Event können schnell etwas klinisch wirken, wenn man auf Accessoires verzichtet. Schmuckstücke und ein Spitzentuch machen viel aus um einem Gewand den Eindruck zu geben, dass es wirklich einem angepasst ist und dass darin 'gelebt' wird.

 

Short Stays als passende Unterkleidung sind natürlich super. In dem Schnürleibchen fühlt man sich gleich noch mehr in die Zeit zurückversetzt und der Busen wird für die Kleidung dieser Zeit richtig angehoben und geformt. Meiner Meinung nach kommt man aber anfangs gut mit einem gut sitzenden BH aus. Ein Schnürmieder kann man selbst nähen oder bei Events vor Ort erwerben und gleich anprobieren. Es sollte wirklich gut sitzen, damit es bequem ist und der Effekt passend ist.

 

Das Gewand insgesamt kann man dann natürlich endlos steigern und weitere Artikel hinzfügen - eine Pelisse für kühle Tage, eine Tiara für Bälle, Reproduktions-Stiefeletten als festeres Schuhwerk, einen Schirm, eine Chemisette zum Einstecken in den Ausschnitt, Hüte, Handschuhe ... da sind keine Grenzen gesetzt!

 

Mein 1806 Costume Parisien Ballkleid

Für einen Ball im Royal Pavilion in Brighton, England habe ich dieses Modekupfer aus Costume Parisien als Vorbild verwendet. Der Ball wurde von Zack Pinsent, einem Schneider historischer Kostüme, geplant und gehostet. Der Dress Code war britische Hofkleidung oder Abendkleidung zwischen 1800 und 1818. Normalerweise bevorzuge ich die Kleider der 1810er und die zu dieser Zeit bereits höheren Rocksäume sind für einen Ball besonders günstig, da sie das Tanzen erleichtern. Doch ist man nicht alle Tage im Royal Pavilion und dieses Modekupfer mit der klassizistischen, anmutigen Robe hatte es mir schon sehr lange angetan.

 

 

Verwendete Materialien für meine Körpermaße:

 

Kleid:

- ca. 4m weißer Stoff, gekauft als reduzierte Brautware, Zusammensetzung unbekannt aber nach Feuerprobe offenbar reine Naturfaser

- ca. 0,7m weiße leichte Baumwolle als Futter des Oberteils

- ca. 5m Goldborte

- lange Handschuhe (im Kostümhandel gekauft)

 

Für die Haube:

- ca. 0,3m lilafarbener Samt

- Reste des Kleid-Oberstoffs

- Hutmacher-Buckram und Vlieseinlage, Schrägband

- ca. 60cm Goldborte

- Straußenfedern, Goldborte und eine Sicherheitsnadel zur Erstellung der abnehmbaren Hutzier

 

Für das Kleid habe ich mich für einen unifarbenen Stoff entschieden, der jedoch ein zartes rautenförmiges Webmuster hat - Textur im Detail, ohne visuell zu beschweren.

Der Rockteil und die Ärmel sind in der Konstruktion einfach. Bei den Ärmeln habe ich mich an der im Modekupfer gezeigten Abbindung orientiert und die Puffärmel extraweit geschnitten, um dann einen Teil zu raffen und abzuschnüren. Der Schleppe habe ich eine kleine Fingerschlaufe gegeben, sodass sie zum Tanz hochgehalten werden kann, um Beinfreiheit zu haben.

Den Schnitt des Oberteils habe ich selbst erstellt und lange daran gefeilt. Bei Oberteilen empfehle ich stets Mock-ups zu erstellen. Gerade wenn man in einem Kleid tanzen möchte muss das Oberteil genug Raum bieten, die Arme hoch über den Kopf zu erheben, ohne dass der bei Abendgarderobe des Regency tiefe Ausschnitt indiskret aufklafft. Letztendlich haben zwei kaum sichtbare Abnäher zu beiden Seiten des horizontalen Ausschnittbereichs für eine anliegende Passform gesorgt, die den Armen freien Raum lässt. Das Taillenband ist mit Bügeleinlage verstärkt und mit mehreren Stichen am Kleid gesichert, damit es nicht verrutscht.

Für die Haube habe ich aus lilafarbenem Samt einen gerafften Beutel genäht und mich dann an das tiaraförmige Schild gemacht.

Es besteht aus einer Lage Hutmacherei-Buckram, darauf aufgenähter Vlieseinlage, einer Lage weißem Leinen und den beiden Oberstoff-Teilen.

Darauf habe ich dieselbe Goldborte wie am Kleid aufgebracht und eine Anstecknadel mit Straußenfedern erstellt, sodass ich die Federn an verschiedenen Stellen positionieren konnte und sie leichter auf der langen Anreise transportierbar waren.

 

Spitzenkleid

Nach dem Jane Austen Festival ist vor dem Jane Austen Festival. Auch dieses Jahr werde ich wieder nach Bath reisen und mit vielen anderen Fans der Autorin und der Regency-Mode promenieren, Vorträgen lauschen, in den Pump Rooms frühstücken und picknicken. 

 

Eines meiner Lieblingskleider, welches ich auch dieses Jahr wieder im Gepäch haben werde, ist dieses Spitzenkleid. Gefüttert mit weißem Satin ist es aus Brautspitze gefertigt und die vorhandene Zierkante bildet gleichzeitig den Saum.

Der Vorteil von Regency-Kleidern ist, dass man das Oberteil zwar an den Körper anpassen muss (hier lohnt sich immer ein Mockup!), aber der Rock einfach aus zwei langen Bahnen genäht werden kann.

 

Verwendete Materialien für meine Körpermaße:

 

- ca. 2,3m bestickte Brautspitze mit Wellenmuster und kleinen Blütenbouquets (oder Vorhangspitze?, gekauft als reduzierte Outletware in einem kleinen Berliner Stoffladen)

 

- ca. 0,5m weißer Brautsatin als Futter des Oberteils

 

- zwei Korsettstäbchen zur Stärkung der rückwärtigen Schließung sowie Haken und Ösen aus Metall

 

- Elastikband für den gerafften Ausschnitt und die Puffärmelchen

Reticules - Handtäschchen für alles notwendige

Reticules, die zarten Handtäschchen der Jane Austen-Zeit, bewahren alles Notwendige auf. Die Kleider haben in aller Regel keine Taschen, sodass das Reticule ein essenzieller Bestandteil eines Outfits ist. Ich habe inzwischen mehrere Reticules angefertigt. Dabei achte ich immer darauf, dass das Mobiltelefon hereinpasst. Man lebt schließlich im 21. Jahrhundert ;).

Ein einfaches Reticule kann man aus vier Stoffstücken nähen - zwei als Oberstoff und zwei als Futterstoff. Da es nicht viel zu nähen ist, können Reticules gut in Handarbeit erstellt werden und man benötigt nichtmal zwingend eine Nähmaschine. Die Oberstoffteile und das Futter wird je rechts auf rechts vernäht, sodass zwei Beutel entstehen. Diese werden dann ausgestülpt und ineinander gesetzt. Dann werden die Beutelränder oben vernäht. Zudem braucht man ein Trageband.

 

Eine aufwändigere Art von Reticule ist das Rundreticule mit je einem Medaillon auf der Seite. Diese Art von Täschchen findet sich in mehreren Museen.

Die Konstruktion ist etwas komplexer zu verarbeiten und erfordert Handarbeit. Mit der Nähmaschine kommt man hier nicht weit. Im Grundsatz besteht das Reticule aus folgenden Teilen: zwei mit Kartonage gestärkte und mit Stoff bezogene Rundpanelen, angenäht an eine lange geraffte längsrechteckige Stoffbahn.

Für die Medaillons habe ich ein Stück bedruckten Stoff verwendet, welches ich als Testdruck von einer Stoffdruckerei bestellt hatte.

Aus Karton habe ich Kreise ausgeschnitten und mit dem Stoff bezogen.

Die längsrechteckige Stoffbahn aus rosa Satin habe ich an beiden Seiten umgenäht, je ein Band durchgefädelt und sie gerafft. Dadurch entsteht letztendlich eine Stoffröhre mit öffenen Seiten. 

Die Schmalseiten habe ich gesäumt, da die den oberen Eingriff in die Tasche bilden werden. Die Medaillons habe ich dann von Hand vorsichtig über die runden Öffnungen genäht. Am Ende habe ich mit Stoffkleber ein Zierband ringsherum geklebt, um den Übergang und die Nahtstiche von Medaillon zu Taschenstoff zu kaschieren.

Am Ende habe ich die Tragebänder innen gut angenäht.

Da ich die Tasche erst in der Nacht vor dem Abflug nach England fertig bekommen habe, habe ich sie ungefüttert belassen. Wenn es die letzte Minute nicht gäbe... ;)

 

Gehrock, Weste und Fall-Front Breeches

Diesen Regency Gehrock habe ich für meinen Partner für das Jane Austen Festival 2022 angefertigt. Der Gehrock (engl. tailcoat) ist aus grünem Wollstoff, gefüttert mit Vlieseline, Leineneinlagen und Baumwolltuch. Als Schnittmuster habe ich Black Snail Patterns #0517 1830s Tailcoat verwendet.

Die Größe im Schnittmuster hat mit nur geringen Änderungen ideal gepasst und die Anleitung ist gut formuliert, ein Gehrock ist jedoch wirklich eine Herausforderung. Die Teile sind insgesamt recht einfach zusammenzusetzen. Der Teufel steckt aber wie immer im Detail. Die perfekte Passform zu erreichen und die ganz kniffligen Stellen wie die Zusammensetzung der Schöße (mit den in den Schößen versteckten Tascheneingriffen) brachten mich zwischenzeitlich halb zum Verzweifeln. Dennoch - es hat sich gelohnt und mein Partner und der Gehrock haben auf dem Festival Bella Figura gemacht.

Regency Fall-Front © Epochs of Fashion
Regency Fall-Front © Epochs of Fashion

Die Hose hat epochengerecht die Fall-Front Konstruktion erhalten. Am Bund geknöpft weist die Hose darunter einen breiten Schlitz auf, der durch eine Schnürung zusammengehalten und dann mit dem darüber geknöpften Latz verborgen wird. Das Schnittmuster habe ich selbst erstellt, generell muss man lediglich aus einem Hosenschnittmuster vorne ein Rechteckt herausschneiden und dann die Schnürungs-Teile und den Latz anbringen.

Im Rücken ist ebenfalls eine Schnürung angebracht, um die Hose festzuziehen.

Weste über Hemd mit Kravatte und antikem Stick Pin
Weste über Hemd mit Kravatte und antikem Stick Pin © Epochs of Fashion

Geblümtes Tageskleid

Ich stehe auf den Treppenstufen eines Herrenhauses in einem weiß-rot geblümten Empirekleid mit kurzen Puffärmeln © Epochs of Fashion
© Epochs of Fashion

Ohne besonderen Anlass beschloss ich, ein neues Regencykleid aus der in der Costuming-Community allseits beliebten Ikea Bettwäsche mit authentischem historischem Blumenmuster zu machen. Das Kleid hat Puffärmel, kleine von mir handgemachte Dorset-Knöpfe und einen breiten Faltenbesatz am Saum. Mit Perlmuttknöpfen wird es am Rücken geschlossen. Der Saum ist im Stil der späteren 1810er nur knöchellang, um das Kleid auch besonders schwunghaften Playford-Dances standhalten zu lassen. John Playford, der im 17. Jahrhundert lebte, schrieb das einflussreiche Buch 'The English Dancing Master', dessen beschriebene Tänze noch heute bei historischen Bällen beliebt sind - so beispielsweise Mr Beveridge's Maggot, Grimstock oder Newcastle. Mit langen Kleidern muss man immer bei Rückwärtsschritten oder Drehungen auf den Saum acht geben, um nicht zu stolpern. Für Bälle lohnen sich daher gekürzte Kleider, so wie sie auch in Modekupfern aus der Zeit erscheinen.

 

Verwendete Materialien für meine Körpermaße:

 

- Ein Set Bettwäsche eines bekannten schwedischen Heimausstatters

- ca. 0,5m leichte weiße Baumwolle als Futter des Oberteils

- Perlmuttknöpfe für die rückwärtige Schließung, Geschenk meiner Großeltern

Pelisse - ein mantel für kühle Tage

Eine Regency Pelisse aus blauviolettem Taft in Rückenansicht © Epochs of Fashion
In einer Regency Pelisse vor Hardwick Hall, Derbyshire © Epochs of Fashion

Eine Pelisse ist ein leichter Mantel des frühen 19. Jahrhunderts, der ähnlich einem Kleide aber vorne offen geschnitten ist. Meine ist aus 2,5m Baumwolltaft gefertigt den ich in den Ferien in Dorset (Südengland) gekauft habe. Der Schnitt ist selbst entworfen, aberich habe mich im Oberteil an McCalls M7493 orientiert. Das Rückenteil habe ich etwas weiter geschnitten, damit ich die strahlenförmigen Abnäher einfügen konnte. Über den Ärmeln sind jeweils vier blütenblattförmige Flügelchen angenäht um die Schultern zu betonen und so die Silhouette der späteren 1810er Jahre zu erreichen. Gefüttert ist die Pelisse mit rotem Futterstoff und zusätzlich im rückwärtigen Oberteil mit einer versteckten und abgesteppten Lage Fleece (eine Fleecedecke musste dran glauben...), für etwas mehr Wärme an kalten englischen Abenden. Im Futter des Rockteils ist innen versteckt in den Futterstoff ein 20cm breiter Streifen Filz eingenäht damit der Rock schön schwer fällt.

Ursprünglich war der Stoff für eine Open Robe geplant, aber im englischen Wetter erschien eine Pelisse deutlich notwendiger. Geziert habe ich den Pelisse mit handgesäumten Flügelchen an den Ärmeln und Rouleaux-Details (z.B. unter dem Nacken).

Der Spencer - Jäckchen als Farbtupfer

Spencer und Musselinkleid, Stamford Georgian Festival. Jane Austen era, Regency Mode, 19. Jahrhundert.
In Spencer und Musselinkleid auf dem Stamford Georgian Festival © Epochs of Fashion

Spencers sind Jäckchen, die Wärme bieten und gleichzeitig einen farblichen Kontrast zu den oft weißen Kleidern bieten. Spencer sind oft mit Borten, Bändern, Spitze, raffinierte Schnittmuster, aufwändige Ärmelkonstruktionen oder Stickerwei verziert.

 

Diesen silberfarbenen Spencer habe ich nach dem Schnitt von McCall's Costumes 7493 genäht, das Schnittmuster jedoch für mich angepasst. Als Stoff habe ich Polsterstoff verwendet. Ich habe den Kragen in einen hohen Stehkragen abgeändert, habe die Zaddeln entlang der Schulternähte eingefügt in Anlehnung an die Pelisse im Museum of London und habe als Verschluss vorne Perlmuttknöpfe meiner Urgroßmutter verwendet. Der Stoff ist ein Jacquard mit dezenter Streifen-Struktur, nicht völlig historisch korrekt da es sich um eine Baumwoll-Kunstfaser-Mischung handelt, aber die Wirkung des leicht glänzenden Stahlblau gefällt mir dennoch sehr gut. Das Schnittmuster war sehr angenehm zu verwenden und auch die Schulterlöcher und Ärmel bedurften keiner Anpassungen.

Der Spencer erweist mir auch fünf Jahre später nach wie vor gute Dienste, beispielsweise auf den jährlichen Jane Austen Festivals in Bath oder dem Stamford Georgian Festival in Lincolnshire.

 

Ich stehe auf der Brücke des Anwesens im Haupttor in einem langen weißen Kleid und Biedermeier-Spencer. This image shows Baddesley Clinton, a historic home, with a bridge on which I stand in a white Regency Dress and blue Spencer
Bei Baddesley Clinton in Warwickshire © Epochs of Fashion

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